TimbuktuGebundene Ausgabe
In Timbuktu stellt Paul Auster das Thema Obdachlosigkeit in den USA aus der Sicht eines Hundes dar. So seltsam das erscheinen mag, ist es doch nicht neu, sondern aus John Bergers King bekannt. Und es funktioniert tatsächlich. Beide Autoren betrachten die Erfahrungen der Obdachlosen durch die erbarmungslos unsentimentalen Augen eines Hundes und vermeiden es so, ihre Geschichten zu einem übersteigerten Melodrama verkommen zu lassen. Während Bergers Buch zwischen verschiedenen Figuren hin und her wechselt, konzentriert sich Timbuktu voll und ganz auf zwei Charaktere: Mr. Bones, "ein wertloser und unscheinbarer Köter", und sein Herrchen, Willy G. Christmas, ein Schizophrener mittleren Alters, der seit dem Tod seiner Mutter vier Jahre zuvor auf der Straße lebt. Der Roman nimmt seinen Anfang in Baltimore, wo Willy und Mr. Bones nach einem ehemaligen Highschool-Englischlehrer suchen, der Willy als Teenager immer in seinen schriftstellerischen Anstrengungen unterstützt hatte. Jetzt steht Willy kurz vor dem Tod und will unbedingt ein Heim für seinen Hund und die unzähligen Manuskripte finden, die er in einem Greyhound-Busbahnhof versteckt hat. "Willy hatte den letzten Satz geschrieben, den er je schreiben sollte, und seine Zeit lief Uhrticken für Uhrticken ab. Die Worte in diesem Spind waren alles, was er vorzuweisen hatte. Sollten sie verschwinden, wäre es, als hätte es ihn nie gegeben". Paul Auster ist ein intellektueller Schriftsteller, der es vorzieht, über Vernunft und Logik in das Innerste seiner Leser vorzudringen. Als Willy stirbt, gelangt er über ein Meer von Worten ins Jenseits. Bei Mr. Bones handelt es sich um einen Hund, der über metaphysische Themen wie das Leben nach dem Tod nachdenken kann -- Willy hatte es immer als "Timbuktu" bezeichnet. Was, wenn Haustiere dort nicht erlaubt wären? Das war wohl ziemlich unwahrscheinlich, und doch hatte er lange genug gelebt um zu wissen, daß alles möglich war, daß das Unmögliche immer wieder wahr wurde. Vielleicht war dies eines dieser unmöglichen Dinge, und darin lagen Tausende Ängste und Qualen verborgen, ein undenkbarer Horror, der ihn jedesmal erfaßte, wenn er darüber nachdachte. Als Willy tot und Mr. Bones auf sich alleine gestellt ist, verschlechtert sich seine Situation zunehmend. Der jetzt herrenlose Hund sieht sich einer Reihe von Verraten, Ablehnungen und Enttäuschungen ausgesetzt. Indem er in die Haut eines Hundes schlüpft, gelingt es Auster, menschliche Grausamkeiten und eher seltene Freundlichkeit aus einem einzigartigen Blickwinkel heraus zu kommentieren. Aber der Leser sei gewarnt: Die Welt in Timbuktu ist düster, und auch die gelegentlichen Momente von Gnade sind nur von kurzer Dauer. -- Alix Wilber
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