Im Glück und anderswoRobert Gernhardt
Book, Broschiert
Robert Gernhardt ist der große gute Geist der deutschsprachigen humoristischen Dichtung. Um genau zu sein: Er ist der Einzige. Das mag wohl vor allem an der Leichtigkeit liegen, mit der Gernhardt das Banalste und Grotesk-Fatalste des Alltagslebens in lustige, hintersinnige, anspielungsreiche und formvollendete Verse verwandelt: Was als Gelegenheitsgedicht beginnt, endet oft als lyrische Perle. Der Autor hat die Antwort auf die Frage nach den Eigenschaften feinster Dichtung selbst in folgende Form gepresst: "Gut gefühlt/Gut gefügt/Gut gedacht/Gut gemacht". "In Fahrt" ist ein Kapitel von Gernhardts neuem, glücklicherweise äußerst dicken Lyrikband Im Glück und anderswo überschrieben -- dem Ersten seit fünf Jahren. Und "in Fahrt" ist Gernhardt hier gleich in doppeltem Sinne auch gewesen: Zum einen als Reisender im Zugabteil, der das "beschissene" Leben am Bahndamm betrachtet ("Vom Zug aus") oder sich über die ausgeklügelte Bahnhofsarchitektur von Koblenz amüsiert ("Schöner Schiefer"), zum anderen als Verfasser fulminanter, treffsicherer Verse, die nicht nur mit dem überraschenden Wechsel von gereimten und reimlosen Zeilen spielen ("Tübinger Feststellung"), sondern auch den eigenen Ruhm für Mitsprechlyrik bei möglichen Lesungen ironisieren ("Und jetzt alle!"). Darüber hinaus gibt Gernhardt Aufschluss über groteske Familientragödien an Urlaubsorten oder die ehrgeizigen Missgunstgedanken der vermeintlich trauten Schumacher-Brüder beim Großen Preis von Canada am 10. Juni 2001. Oder er präsentiert die Fantasien des lüstern-lyrischen Ichs beim Anblick einer hübschen Kellnerin im Orient-Restaurant und die Trauer eines alternden Alter Egos angesichts seiner schönen, aber hinsichtlich des poetischen Erfolgs des von ihr Beschnittenen leider völlig indifferenten Friseuse ("Marina"). Im Glück und anderswo hat Gernhardt seinen Gedichtband überschrieben, und dieses "Anderswo" ist unbedingt in unserer unmittelbaren Gegenwart zu finden. So nah ist Gernhardt dran am Puls der Zeit. Und so glücklich müssen wir Leser darüber sein, dass er sie uns so wunderbar komisch präsentiert. --Thomas Köster
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