Die Tochter des Geschichtenerzählers. Meine Heimkehr nach AfghanistanSaira Shah
Gebundene Ausgabe
Vielleicht hatte ihr Vater es geahnt, dieser große Geschichtenerzähler, der im fernen England im Kopf seiner kleinen Tochter die Kultur ihrer Heimat verankern wollte. Auf Sairas kindlichen Wunsch, das Zauberland Afghanistan, das sie nur aus seinen Legenden kannte, später selbst einmal besuchen zu wollen, hatte er rätselhaft reagiert: Wäre sie erst erwachsen, würde sie verstehen, dass sie gar nicht hinfahren müsse. Heute hat sie begriffen: Das Afghanistan des Vaters, stolz, gastfreundlich und von religiöser Toleranz geprägt, hatte lediglich in seinen Träumen überlebt. In Wirklichkeit hatte es längst aufgehört zu existieren. Seine Tochter machte sich zur Aufgabe, es wieder zu entdecken. Heute möchte sie sich die Burka am liebsten vom Leib reißen und weiß doch, dass sie einigermaßen verlässlichen Schutz bietet vor den Peitschenhieben der Taliban. Die in England als Tochter eines afghanischen Gelehrten geborene Saira Shah, ist als Journalistin inkognito im Land des Vaters unterwegs. Ein gefährliches Unterfangen. Seit 1986 hat sie Afghanistan immer wieder -- illegal -- durchstreift. Das orientalische Märchenreich des Vaters blieb unauffindbar. Dafür lernte sie die sowjetische Besatzungsmacht kennen, später abgelöst von dem noch unmenschlicheren Regime der Taliban. Mit versteckter Kamera dokumentiert Saira die ungeheuerlichen Zustände in einem Frauenkrankenhaus, lauscht der Geschichte eines Waisenjungen, der, im Backofen versteckt, miterleben musste, wie die Taliban seinen Vater hinrichteten. Sie trifft auf waffenstarrende, marodierende Gotteskrieger, die für weniger als eine warme Mahlzeit den Kriegsherrn wechseln. Und sie und ihr kleines Team wagen sich schließlich ins Zentrum des Schreckens: Kabul. Abseits der fundamentalistischen Zentren jedoch fand die Journalistin auch ein anderes, seltsam vertrautes Afghanistan. Den Schilderungen des Vaters folgend, lernte sie Menschen, Mythen und Gegenden kennen, in denen sie seine Geschichten widergespiegelt fand. Saira Shahs gelang eine flirrende Mixtur aus arabischer Märchenwelt und knallharter politischer Berichterstattung, die sich als perfekte Werbung für ein unbekanntes, besseres Afghanistan empfiehlt. Somit hat eine Tochter das geistige Vermächtnis ihres Vaters aufs Schönste weitergegeben. --Ravi Unger
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