Tabu II: Tagebücher 1971-72Peter Rühmkorf
Gebundene Ausgabe
Schon neun Jahre sind vergangen seit Peter Rühmkorfs Tabu I -- große Begeisterung damals, auch wegen der schonungslos privaten Einblicke, die der beste unter den lebenden deutschsprachigen Lyrikern gewährte. Rechtzeitig zum 75. Geburtstag erscheint ein zweiter Band, zwanzig Jahre früher protokolliert. Bildeten beim Tabu I die Wende- und Wiedervereinigungsjahre die gesellschaftliche Hintergrundfolie, sind es nun Bader-Meinhof, Ostverträge und Vietnamkrieg. Privates und Politisches sind aber nicht zu trennen, nicht in diesen ideologisch aufgeheizten Jahren nach 68, und schon gar nicht bei einem Dichter wie Rühmkorf, einem allseits wachen Zeitgenossen, der Ulrike Meinhof von der Zusammenarbeit bei der Zeitschrift Konkret kannte und damals zudem noch träumte, dem Kapitalismus mit politisch-kunstvollen Dramen auf die Finger zu klopfen. . Aber die heiter-melancholische Ernüchterung, die das Tabu I durchzieht, ergreift auch den gerade mal Vierzigjährigen bereits. Zwar ist die Libido noch hellwach und verlockt den Dichter zu unehelichem Treiben, z.B. "Nachhilfestunden" für eine Kapitänstochter. Doch als Schriftsteller steckt er in der Krise: zuwenig Geld, von den Dramen wollen die Theater nichts wissen, die lyrische Produktion ist ganz ins Stocken geraten. Und auch, dass es ihm nicht gelingt, Romane zu schreiben, bedrückt Rühmkorf. Doch was sich hier als Tagebuchwerk abzeichnet -- es sollen noch Tausende von Seiten existieren --, ergibt ohnehin eine Art Zeit- und Lebensroman, den sein hinreißender Tonfall einzigartig macht. . Peter Rühmkorf, den wir als großen Stilisten aus seinen Gedichten kennen, bringt auch das Genre des Schriftstellertagebuchs zu neuer Blüte. Da sitzt er auf seinem "Südbalkönchen" mit Elbblick in Hamburg-Oevelgönne und stenographiert tragikomisch sein vom Scheitern bedrohtes Dichterleben mit. Mal mit dem sanften Blick des Lyrikers, ("Die Kastanie vorm Haus wie ein Schlafbaum für grüne Jungfledermäuse. Die noch eingefalteten Flügelblätter."), mal mit satirischem Blicken auf sich selbst, das Zeitgeschehen und auch auf Kollegen wie Frisch, Enzensberger und Handke, auf die er originelle Giftpfeile abfeuert. Perfekte Ergänzung zum Tabu II ist übrigens eine andere Neuerscheinung: das Lese-Bilderbuch Wenn ich mal richtig ICH sag .. voller Dokumente aus Rühmkorfs reichem Fundus, aus dem wir hoffentlich noch mit weiteren "Tabus" versorgt werden. --Christian Stahl
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