Schweres Wasser und andere ErzählungenMartin Amis
Gebundene Ausgabe
Trauriger Sprinter. Lange sonnte sich Martin Amis im Lob der Kritiker, die ihn seit seinem Erstlingsroman The Rachel Papers (1973) als Wunderkind der britischen Literatur feierten. Seit Amis 1995 seinen Roman Information meistbietend -- für rund eine Million Mark -- versteigerte, gilt er als "Enfant terrible": Die langjährige Freundschaft zu seiner Agentin Pat Kavanagh und deren Mann Julian Barnes zerbrach, die Regenbogenpresse verriss das Buch und schüttete kübelweise Tratsch und Klatsch über den Autor aus. Damit nicht genug: Sein Vater, der Schriftsteller Kingsley Amis, starb, seine erste Ehe zerbrach, und auch sein kariöses Gebiss musste komplett renoviert werden -- ein Schicksalsschlag, dem Amis in seiner kürzlich in England und den USA erschienenen Autobiografie Experience reichlich Platz einräumt. Dass Amis ätzende Ironie, sein rabenschwarzer Humor und sein Hang zu political uncorrectness nicht im Zahnarztstuhl abhanden gekommen sind, stellt der Autor mit einem Erzählband unter Beweis, der neun ganz unterschiedliche, zwischen 1976 und 1997 entstandene Geschichten vereint. Die Erzählungen bieten all das, was Amis zum Pop-Star gemacht hat: parodistischen Witz, die Lust an der gezielten Gemeinheit, nicht zuletzt den Hang zu leicht absurden Handlungen. Logisch, dass Literatur- und Kunstbetrieb ihr Fett wegbekommen -- etwa, wenn distinguierte Edel-Lyriker First Class nach L.A. eingeflogen werden, um bei der hollywoodgerechten Vermarktung ihrer Sonette dabeizusein ("So macht man das"). Zu großer Form läuft Amis auf, wenn er den ewigen Verlierern dieser Welt seine Stimme leiht -- dem (weißen) Disco-Rausschmeißer Big Mal zum Beispiel, der zum "Väterlauf" beim Sportfest am feinen St. Antony's vergebens versucht, seinem Sprößling zu imponieren -- gegenüber den arrivierten Vätern aus Pakistan und Hinterindien wird er der Underdog bleiben ("Lage der Nation"). Die traurige Stampede der Väter zeigt zugleich, dass Amis seine Figuren nicht für billige Effekte verrät -- selbst in schier ausweglosen Situationen bleiben Momente von Empathie und Liebe: "Die Papas rannten weiter, mit schwerfälliger Leidenschaft, sie donnerten dahin, ihre Füße steckten in Strümpfen, ein paar hatten Turnschuhe, aber alle trugen sie die schweren Holzpantinen ihrer Jahre.". Überhaupt führt uns die Reise durch das Werk der letzten 20 Jahre zu einem überraschenden Befund: Amis, stets um seinen Ruf als wilder Mann des Literaturbetriebs bedacht, erweist sich gerade in den frühesten Texten des Bandes als ungeheuer genauer und feinfühliger Erzähler. Allein aufgrund weniger Sätze in der Geschichte "Dentons Tod", in der ein zum Tode Verurteilter vom Entgleiten eines Glücksgefühls erzählt, dass er als kleiner Junge empfand -- "es schien ihm hinabgekollert in die Unsicherheit und Enttäuschung der späten Jahre" -- möchte man Amis all seine kalkulierten Skandale und Großmäuligkeiten verzeihen. Der Mann ist einfach gut. --Niklas Feldtkamp
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