Die Kunde von den BäumenWolfgang Hilbig
Taschenbuch
Kann ein Thema, das schon unzählige Male literarisch behandelt wurde, noch interessant sein? Normalerweise pflegt man diese Art von Fragen bis zum Beweis des Gegenteils zu verneinen. Doch auf dem Gebiet der Literatur ist nichts vorhersehbar, und so hat es Wolfgang Hilbig erstaunlicherweise geschafft, eine herausragende Erzählung über die Schwierigkeiten des Erzählens zu schreiben. Daß es sich bei Hilbig (Jahrgang 1941) um einen der besten und interessantesten deutschen Schriftsteller handelt, wurde an dieser Stelle schon mehrfach hervorgehoben und soll daher nicht mehr vertieft werden. Die erste Fassung der Erzählung Die Kunde von den Bäumen erschien bereits im Herbst 1992 in einer bibliophilen Ausgabe des Verlags Faber & Faber (330 Exemplare zum Stückpreis von fast 8000 öS). Sie wurde vom Autor einer Überarbeitung unterzogen und nun vom S. Fischer Verlag zu einem leserfreundlicheren Preis in die Buchhandlungen gebracht. Das Werk handelt von Waller, der schreibend seiner Existenz als Fabrikarbeiter in einer trostlosen, vom Tagebergbau eingekreisten Stadt der ehemaligen DDR gerecht werden will. Er versucht die Kirschbäume einer alten Allee zu beschreiben, kommt jedoch nicht über den ersten Satz hinaus. Waller macht sich auf den Weg zu dieser Allee -- die Bäume sind längst gefällt --, der durch düstere Abfallhalden führt. Wie schon in Alte Abdeckerei (1991) entwirft Hilbig ein monströses, apokalyptisches Bild dieser in Abfall und Asche untergehenden Landschaft. Aber trotz der Bedrohlichkeit dieses Gebietes, das nur von grotesken Müllarbeitern bewohnt wird, flüchtet sich Waller vor der bürgerlichen Stadt und dem Zugriff des DDR-Staats in diese düstere Welt. Hier will er endlich über den ersten Satz seiner Geschichte hinauskommen. Waller erinnert sich in wortgewaltigen inneren Monologen an die letzten zwanzig Jahre, an seine zunehmende Assimilation, an diese endzeitliche Landschaft und an deren Bewohner. Auffallend ist die explizit politische Dimension der Erzählung. Immer wieder ist vom Bau der Berliner Mauer als entscheidendem Datum in Wallers Biographie die Rede, von den Zumutungen des damaligen Lebens, das ihn fast bis zum Selbstmord getrieben hatte. Letztendlich findet Waller seinen zweiten Satz, der hier jedoch nicht verraten werden soll. Aber daß die Thematisierung der totgeschriebenen Erzählproblematik immer noch zu einer fulminanten Erzählung führen kann, davon kann sich jeder Leser selbst überzeugen. --Christian Köllerer
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