Helena oder das Meer des SommersGebundene Ausgabe
Auf eine Gattungsbezeichnung für Helena oder Das Meer des Sommers hätte der Autor am liebsten verzichtet, erfahren wir aus dem Nachwort. "Eine Art Gesang" ergäben diese Erzählungen, ähnelten einem Gedicht, seien ein "pointilistischer Roman", bei dem alle unwesentlichen Kapitel weggelassen wurden. Erzählt im klassischen Sinne wird hier tatsächlich nicht. Statt dessen lebenspralle Tableaus, in deren Beschreibung und Ausmalung Julián Ayesta schwelgt und seine Leser mitreißt in einen Strudel aus Farben, Gerüchen, Sonnenstrahlen, Meeresrauschen und Lachen. Lyrische Bilder paradiesischer Unschuld während einer Kindheit im nordspanischen Gijón. Eine laute, temperamentvolle Großfamilie trifft sich zur Sommerfrische, eine Schar Cousins und Cousinen genießt den Sommer, den Strand, das Meer. "Unter den Eichen lag ein grünlicher Schatten, und Sonnentupfen liefen über den Boden und die Tische. Im Hintergrund sah man durch die Bäume grüne Wiesen, Bauern, die auf den Maisfeldern arbeiteten, blassblaue Karren, Ochsen und ein Stück Meer. Ein Duft von feuchtem Gras, das von der Mittagssonne erhitzt wird, wehte herüber, ich hätte sterben können vor Glück mit Helena an meiner Seite und versank mit halbgeschlossenen Augen in meinen Gedanken." . Mit ebendiesen halbgeschlossenen Augen blickt Julián Ayesta zurück, weniger melancholisch-nostalgisch als erfreut, diese ewigen Augenblicke eines Kinderglücks festhalten zu können. Ganz ungetrübt ist dieses aber doch nicht, zwischen die Beschreibung zweier Sommer mit der Liebe zur Cousine Helena schiebt sich ein Winterkapitel, das sich in ebenso strömenden, eleganten Satzwellen den Nöten eines katholischen Jungen mit der unermüdlichen Abwehr unkeuscher Gedanken widmet. Und anderseits schweben über allem auch die Wolken der Vergänglichkeit, werfen ihre Schatten voraus. Nicht nur die Kindheit muss unweigerlich dem Erwachsenwerden weichen. In diesem Fall ist es auch der schreckliche spanische Bürgerkrieg, der der Idylle bald ein Ende bereiten sollte. Vor dem dunklen historischen Hintergrund funkeln diese Kindheitserinnerungssplitter noch stärker und lassen beim Leser am Ende doch etwas Wehmut aufkommen, aber vor allem Glück, dass dieses kleine spanische Juwel von einem Buch über 50 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung nun wieder entdeckt wurde. --Christian Stahl
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