Eheleben (SALTO)Sergio Pitol
Gebundene Ausgabe
Plötzlich will Señora Cascorro nicht mehr Maria Magdalena sein. Kurz vor der Heirat legt die junge Dame die verhassten Taufnamen, mit denen nicht nur die Geschwister sie sorgsam zu verhöhnen wissen, endlich ab -- und nennt sich fortan einfach Jacqueline. Paradoxerweise aber entwickelt sich Señora Cascorro gerade jetzt immer mehr zur Sünderin: ausgerechnet im verflixten siebten Jahr ihrer Ehe findet der "entscheidende Wendepunkt im Schicksal unserer lieben Jacqueline" statt. Während eines Festes ereilt sie eine ganz und gar unheilige "Vision": Während um sie herum fröhlich Hühnerknochen knacken und lustig Sektkorken knallen, beschließt Jacqueline, ihren Mann Nicolás grausam ins Jenseits zu befördern. Inmitten der "Flut der schlechten Erinnerung" wirkt der Gedanke ganz und gar befreiend auf die Protagonistin im Roman Eheleben des mexikanischen und mehrfach preisgekrönten Autors Sergio Pitol: Von nun an versammelt die gedanklich bereits schwarze Witwe allerlei Liebhaber um sich, die sie in teils klebrig-inzestuösen Netzen für ihre Mordkomplotte zu umgarnen sucht. Getrieben von Tötungsfantasien kann sie selbst im schwachen Arm des Bräutigams wieder zum Orgasmus kommen. Leider meint es besagtes Schicksal in den nächsten 25 Jahren mit der "lieben Jacqueline" nicht allzu gut. Und so pflastern schon bald nicht Leichen, sondern abgetrennte (eigene) Gliedmaßen, zertrümmerte (eigene) Schultern und Träume, heilloser Verrat und trostlose Enttäuschung ihren Weg. Jacqueline wird zum inkarnierten Desaster: "Inzwischen war Jacqueline eine reine Katastrophe geworden", heißt es im Roman. Pitols Eheleben ist eine Art animalisch entfesselte Madame Bovary, auch wenn die Heldin hier lieber in Gefährliche Liebschaften von Choderlos de Laclos blättert, bevor sie in Mordgelüsten wundersam geborgen sanft entschlummert. Derart raffiniert und doppelbödig funktioniert die ironische Metaebene von Pitols meisterlicher Tragikomödie -- ein hübscher Nebenaspekt, den Antonio Tabucchis mäßig gelungenes Nachwort erheblich überstrapaziert. Denn auch jenseits aller netten Intertextualitäten ist Eheleben ein wundervoll lakonisch erzähltes, demaskierendes Sittenporträt, ein buntes Panorama grauer Frustrationen, in dem -- wie bei Madame Bovary -- die tötliche Langeweile der Hauptfigur auf den Leser überaus belebend wirkt. Eine wahre Entdeckung. Unbedingt lesen. --Thomas Köster
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