Schauder und Idylle. Faschismus als ErlebnisangebotGudrun Brockhaus
Book, Broschiert
Bücher über die nationalsozialistische Ideologie, die Herrschaftsstrukturen und Verbrechen sowie die führenden Persönlichkeiten füllen inzwischen ganze Bibliotheken. Was kann da -- so fragt man sich -- eine Psychoanalytikerin noch beisteuern? Gemessen an der äußerst kompetenten Studie von Gudrun Brockhaus kann die Antwort nur lauten: Ungeahnt viel!. Mit dem sozialpsychologischen Skalpell, das sie virtuos zu führen weiß, legt die Autorin eine Schicht des "Faszinosums Faschismus" nach der anderen frei. Ihr Blick richtet sich auf den Alltag, auf den kleinen Mann: Warum wurde dieser zum Nazi oder zumindest zum Mitläufer? Warum konnte sich die Mehrheit des deutschen Volkes dieser Faszination nicht entziehen? Verschiedene, sehr aussagekräftige Beispiele dienen ihr dazu, das wirksame Kräftefeld aufzuzeigen. Durch die Kombination aus der Ästhetisierung der Wirklichkeit und der selektiven Realitätsausblendung kommt es zu einer Art Versöhnung der Moderne mit den Mythen der Vergangenheit. Effizienzsucht, Technikbegeisterung, Grenzerfahrungen, Körper-, Schönheits- und Fitnesskult verschmelzen so zu "positiven Motivschichten, (aus denen) heraus der Mechanismus von Akzeptieren, Teilnehmen, Mitgestalten und Mitverantworten entsteht", wie Joachim Gauck in seinen Bemerkungen zur Aufarbeitung des DDR-Sozialismus im Schwarzbuch des Kommunismus so treffend formuliert. "Erlebnisangebote" wie Lichterdome, Lieder, Paraden, Filme und natürlich der bis heute unauslöschliche Autobahn-Mythos entfalteten somit integrative Kraft und befriedigten die Lust, in grandiosen Gefühlen zu versinken, einem -- der Autorin zufolge -- universellen Bedürfnis der Menschen. Dieses Werk verdient ähnliche Aufmerksamkeit wie Hitlers willige Vollstrecker, trägt es doch auf sehr eindrucksvolle Weise dazu bei, den Leser für diese immer noch wirkungsvollen Mechanismen zu sensibilisieren und damit das Immunsystem der freiheitlichen Gesellschaft zu stärken. --Manfred Schwarzmeier
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